Die Systemtheorie |
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Systemtheorie
Systemische |
Inhalt: Einleitung
Literatur EinleitungSystemisches Denken hat in den unterschiedlichsten Bereichen Einzug genommen. In der Organisationsberatung, Psychotherapie sowie in Managementseminaren ist von systemischem Denken als einer Basiskompetenz die Rede. Die Systemtheorie bildet dabei den theoretischen Hintergrund, der sich aus verschiedenen Theorien der Biologie, Mathematik, Psychologie, Soziologie und anderen Wissenschaftsdisziplinen entwickelt hat. Die Systemtheorie ist ein Denkansatz, in dem es um Ganzheiten geht. Systemisches Denken ist somit eine Betrachtungsweise, die der Gefahr entgegenwirkt, sich in Einzelheiten zu verlieren. Der Begründer der Allgemeinen Systemtheorie war der Biologe Ludwig von BERTALANFFY, dem es ein Anliegen war, gemeinsame Gesetzmäßigkeiten der verschiedensten Wissensgebiete herauszuarbeiten, indem er deren allgemeine Prinzipien beobachtete. Die Systemtheorie ist also eine Metatheorie, die eine Integration von unterschiedlichem Wissen ermöglicht und in den verschiedensten Bereichen anwendbar ist. Ein System wird als eine neue Einheit verstanden, die zwar bestimmte Elemente als Voraussetzung hat, aber nicht als bloße Summe dieser Elemente zu verstehen ist. Diese Erkenntnis wird als Übersummation bezeichnet. Durch die Beziehungen der Elemente untereinander und die daraus entstehenden Wechselwirkungen ergibt sich etwas Neues, das nicht ausschließlich auf die Eigenschaften der Elemente zurückführbar ist.
Systeme verschiedener BereicheAuf der molekularen Ebene kann Wasser als ein System beschrieben werden. H2O wird zwar aus dem Element Wasserstoff und dem Element Sauerstoff gebildet, aber sobald diese Verbindung (Wechselwirkung / Beziehung) zustande gekommen ist, entsteht eine neue Einheit, deren Eigenschaften nicht auf der Summe der Eigenschaften der einzelnen Elemente beruht. Bei lebenden Systemen der Biologie wird die Unteilbarkeit des Ganzen darin deutlich, daß das Zerlegen in einzelne Teile meist auch nach späterem Zusammensetzen nicht mehr die ursprüngliche Einheit ergibt. Ein Säugetier in einzelne Teile zerlegt ist tot. Auch in den Sozial- und Kulturwissenschaften kann ein Subsystem nur unter Berücksichtigung seiner Beziehung zu anderen Subsystemen und zum Gesamtsystem verstanden werden. Unterschiede zeigen sich zwangsläufig immer dann, wenn die Umwelt der jeweiligen Systeme stark differiert. So unterscheiden sich gesellschaftliche Gruppen verschiedener Länder durch Sprache, Umgangsformen und Sitten. In den Wirtschaftswissenschaften manifestieren sich ebenfalls Unterschiede durch Umweltbedingungen: Unternehmen im System einer Marktwirtschaft unterscheiden sich sehr stark von Unternehmen im System einer Planwirtschaft. In manchen Bereichen kann man vermeintliche Eigenschaften
eines Systems erkennen, deren Sinn sich erst im Zusammenhang mit anderen Systemen
erschließt.
Die Entwicklung der SystemtheorieIn den Anfängen der Systemtheorie wurden vor allem die
Begriffe Struktur und Funktion als grundlegend erachtet.
Kybernetik der BeziehungenKybernetik ist die Lehre von den sich selbst steuernden und regulierenden Systemen und ist daher mit der Systemtheorie eng verbunden. Dieser Denkansatz ist zwar geeignet, auch auf menschliche Regelsysteme bezogen zu werden, aber menschliches regelgeleitetes Handeln ist auf diese Theorie nicht vollständig reduzierbar - Kybernetik kann nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit verdeutlichen. Die kybernetische Analysemethode ist allerdings der komplexen Wirklichkeit angemessener als die (auch in wissenschaftlichen Zusammenhängen) vorherrschende Ursache-Wirkungs-Erklärung.
Das Denken in Ursache und Wirkung ist eine lineare Denkweise, die durch die Frage Warum? erforscht wird. Diese kausale Frage mag bei einfachen Zusammenhängen sinnvoll sein; Beziehungen als dauerhafte Interaktionen können mit dieser Denkweise jedoch nicht angemessen beschrieben werden. Im Bereich der unbelebten Materie sind kausale Zusammenhänge (propter hoc) von bloßem Nacheinander (post hoc) relativ einfach abzugrenzen. Im zwischenmenschlichen Bereich ist das wesentlich komplexer. LORENZ (1984, S. 118) sieht den Unterschied zwischen Kausalität und Regelmäßigkeit im Kriterium der Energieübertragung: Die Wirkung erhält von der Ursache ihre Energie. Kausalketten sind also die aufeinanderfolgenden Zustandsformen von Energie. Bei einer Tür, die zugeschlagen wird, kann man die Engergieübertragung nachvollziehen: von der Hand ausgehend wird chemische Energie zu kinetischer Energie (also zur Bewegung der Tür), und diese wird - im Türrahmen angekommen - zu Wärme- und Schall-Energie. Diese (immer noch verkürzte) Kausalkette ist nachvollziehbar: Weil X die Tür zugeschlagen hat, gab es diesen lauten Knall. Für diesen einfachen Bereich ist die Kausalitätsdarstellung mit der Konjunktion weil sinnvoll. Es geht lediglich um diese konkrete Situation. Bis zur Einbeziehung des Schreiners, der die Tür in den Türrahmen eingesetzt hat, muß die Kausalkette nicht zurückverfolgt werden, um sinnvoll zu sein.* Bei der Frage nach Beweggründen von Menschen für bestimmte Verhaltensweisen ist ein einfaches weil unangemessen. Durch den Informationsaustausch wird zwar Energie übertragen - in welcher Weise diese verarbeitet wird, hängt jedoch vom Empfänger der Information ab. Dabei werden auch vorher erhaltene Informationen (z. B. Erlerntes aus der Kindheit) zum aktuellen Verhalten beitragen. Im Bereich der Kommunikation kann somit keine einzelne Ursache als Begründung herausgestellt werden, da die letzte Information lediglich den Endauslöser darstellt. Schließlich ist die Vergangenheit im gegenwärtigen Verhalten immer vorausgesetzt. Auch in Beziehungen mit verfestigten Kommunikationsmustern ist die Interaktion nicht auf einen der Akteure reduzierbar, da jeweils ein Verhalten das andere bewirkt und umgekehrt. Als Beispiel kann hier eine Lehrer-Schüler-Beziehung dienen,
bei der sich die Lehrerin bezüglich der Unterrichtsbeteiligung fordernd verhält. Der
Schüler zieht sich daraufhin stärker zurück, worauf die Lehrerin noch mehr die
Beteiligung einfordert usw. Beobachtet man die sich ständig gleich vollziehenden
Interaktionen zwischen den Beziehungspartnern, so könnte man nach der kausalen Erklärung
folgern, daß die Lehrerin fordernd ist, weil der Schüler sich zurückhält. Um ein allgemeines kybernetisches System anschaulich zu machen, wird häufig das Beispiel der Zentralheizung verwendet. Der Thermostat hält die Zimmertemperatur durch einen Soll-Ist-Wert-Vergleich konstant. Fällt die Zimmertemperatur (Ist-Wert) auf Grund von Umwelteinflüssen unter den Soll-Wert zurück, wird die Differenz ausgeglichen. Ziel ist also eine Homöostase (Gleichgewicht), eine gleichbleibende Zimmertemperatur. Da die Wärme im Zimmer an die Umwelt abgegeben wird, ist eine völlige Stabilität nicht möglich. Durch die Regulierung des Thermostates wird jedoch ein sogenanntes Fließgleichgewicht aufrechterhalten, das trotz geringer Abweichungen eine relativ konstante Temperatur gewährleistet. Diese Homöostase ist nur durch einen beständigen Soll-Ist-Wert-Vergleich möglich, wobei die Differenz zurückgemeldet wird. Diese Rückmeldung wird in der Kybernetik Rückkopplung oder Feedback genannt. Schematisch sieht ein Regelkreis am Beispiel der Zentralheizung dargestellt so aus:
Das hier gezeigte Beispiel stellt den einfachsten Regelkreis dar. In sozialen Systemen gibt es auch Rückkopplungsmechanismen - allerdings wesentlich komplexer. Die Lehrerin in unserem Beispiel möchte als Soll-Wert ein
Verhalten ihres Schülers, das sein Engagement zeigt. Dieses gewünschte Verhalten
versucht sie durch die Forderung hervorzurufen. (Mit dieser Strategie war sie in anderen
Situationen sicherlich erfolgreich!) Als Feedback erhält sie jedoch eine größere
Zurückhaltung des Schülers, woraufhin sie noch fordernder wird. Der Schüler hat als
Soll-Wert ein zurückhaltendes Verhalten der Lehrerin, das ihm erst ermöglichen würde,
aus sich herauszugehen. Seine Strategie ist gegenläufig zu der seiner Lehrerin: Er will
die Forderungen vermindern, indem er sich nicht darauf einläßt. (Damit hat er sicherlich
in anderem Kontext zuvor Erfolg gehabt!) Das Feedback der Lehrerin ist jedoch eine
größer werdende Forderung, woraufhin er sich noch mehr zurückzieht. Die Kybernetik kann helfen, solche Regelkreise (Teufelskreise
/ krankmachende Beziehungsmuster) zu erkennen. Es geht bei diesem diagnostischen Vorgehen
nicht um die Antworten auf Warum-Fragen, sondern um die Frage: Wie
funktioniert dieses System? Welche impliziten Regeln und Wechselwirkungen (durch nicht
vereinbare, gegensätzliche Kreisläufe) sind erkennbar? Wozu dienen die
einzelnen Verhaltensweisen? Kommunikationsmuster von Beziehungen können also in dieser
Terminologie diagnostiziert und beschrieben werden. Um dies auch für die Zukunft in anderen Kommunikationsstörungen nutzbar zu machen, sollten die beiden Kreisläufe durch die Einführung von Metakommunikation miteinander verbunden werden: Die Lehrer-Schüler-Beziehung kann dann aus dem Teufelskreis heraustreten, da die Kommunikation über die Kommunikation es ermöglicht, die unbewußten Regeln in bewußte Regeln zu transformieren und zu verändern. Ein Bewußtmachen der Verknüpfung und wechselseitigen Beeinflussung des Verhaltens läßt auch den eigenen Beitrag am Verhalten des anderen erkennen. Dadurch kann sich das Gefühl der eigenen Machtlosigkeit verringern und es können auf beiden Seiten neue Verhaltensweisen verwirklicht werden. Kybernetik ist ein Modell und nicht die Realität
- diese Tatsache darf nicht vergessen werden. Interaktionen von Menschen dürfen auch
nicht auf die Komplexitätsstufe einer Heizkörperregulierung reduziert werden, da bei
menschlichen Interaktionen immer mehrere Kreise ineinander wirken.
Systemisches Denken heuteNachdem in den Wissenschaften eine immer stärkere
Spezialisierung erfolgt war, zeigte sich, daß ein Denken in größeren Zusammenhängen
gleichermaßen notwendig wurde, um das zahlreiche Detailwissen zu integrieren.
Systemisches Denken breitet sich gegenwärtig in den verschiedensten Disziplinen aus und
bringt eine Ergänzung zum reinen analytischen Denken.
LiteraturBERTALANFFY, Ludwig von: General System Theory. New York 1979 LORENZ, Konrad: Kants Lehre vom Apriorischen im Lichte gegenwärtiger Biologie. In: LORENZ, Konrad / WUKETITS, Franz M. (Hrsg.): Die Evolution des Denkens. München 1984. WATZLAWICK, Paul: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn - Täuschung - Verstehen. München 1993.
Erscheinungsort und Datum / Autor:Mainz 2012 (Erstveröffentlichung der Ursprungsversion: 1997)
Siehe auch: Selbstreferentielle Systeme nach Niklas Luhmann |